Programm
Übersicht Tagesablauf
Die Veranstaltung setzt konsequent auf Partizipation und lebt vom Wissen, den Erfahrungen und Fragen, die jede:r Teilnehmer:in einbringt. Der Inhaltliche Mehrwert lebt in den Interaktionen zwischen den Teilnehmenden. Die spezifischen Fragestellungen der einzelnen Dialogformate werden aktuell in Zusammenarbeit mit den Facilitator:innen und Akteur:innen aus dem Feld erarbeitet.
08:30 gemütliches Ankommen
informeller Austausch mit Gipfeli & Kaffee
09:00 Gemeinsamer Beginn
Einführung ins Thema und den Dialog im Plenum
Zuteilung in Dialoggruppen
09:30 Start systemische Dialogformate
siehe Dialogformate unten
13:00 Mittagessen
14:00 Verweben der Learnings
Worldcafé od. spezielles Fish-Bowl Setup
Stimmen im Plenum
15:30 Pause
15:45 Was nun?
Open Space Arbeitsgruppen
16:45 gemeinsamer Abschluss
17:15 Ende Veranstaltung & Apéro
F.A.Q.
Fragen und Antworten zur Veranstaltung und ihrem methodischen Ansatz
Warum genau diese Methoden?
Wir setzen bewusst und konsequent auf Partizipation, Exploration und Interaktion. Deshalb haben wir gänzlich auf Formate wie Keynotes, Input-Referate oder Paneldiskussionen verzichtet.
Wir vertrauen darauf, dass das Wissen, das für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema Koexistenz erforderlich ist, von den Teilnehmenden selbst eingebracht wird. Zudem sind wir der Überzeugung, dass der Wert des Dialogs vor allem im direkten Gespräch miteinander liegt.
Die gewählten Dialogformate sollen dazu beitragen, die Auseinandersetzung mit Fragen und Herausforderungen rund um das Thema Koexistenz aus unterschiedlichen Perspektiven, Alltagswelten und Erfahrungen zu beleuchten. So entsteht ein Dialograum um gemeinsam über einzelne Positionen oder Überzeugungen hinweg zu diskutieren. Dabei liegt der Fokus darauf, sich mit den Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Akteur:innen und ihren Kontexten auseinanderzusetzen. Im Optimalfall können wir so bestehende Annahmen hinterfragen und aus einem erweiterten Verständnis neue Möglichkeiten oder Ansätze für eine gelingende Koexistenz eröffnen.
Wie kann ich mich vorbereiten?
Grundsätzlich ist keine Vorbereitung notwendig. Es ist jedoch hilfreich, sich zu überlegen:
- Was für Gründe motivieren mich, konstruktiv an einem Dialog mit anderen Akteur:innen teilzunehmen? Was für Opportunitäten, Synergien oder ähnliches könnten sich für mich/uns ergeben?
- Welche Fragen beschäftigen mich?
- Was liegt mir selbst am Herzen? Und für welche Anliegen oder Bedenken möchte ich mich einsetzen?
- Welche Meinungen oder Positionen möchte ich noch besser verstehen?
- Was für Annahmen & Vorstellungen habe ich über «andere» und welchen Einfluss könnte dies auf meine Arbeit haben? Inwiefern wäre es relevant, wenn sich diese nicht bestätigen/verändern?
Kann ich auch nur Teile der Veranstaltung besuchen?
Nein, die Veranstaltung ist ganztägig und baut aufeinander auf. In wenigen Fällen können wir auf Anfrage hin Ausnahmen machen. Kontaktiere uns dafür per Mail unter info@gentechnik-dialog.ch.
Welche Ergebnisse kann man von so einem offnen Prozess erwarten?
Du darfst viel direkten Austausch erwarten und ein tieferes Verständnis zu den Umständen, Motivationen oder Erfahrungen von anderen Akteur:innen, die sich im Kontext der Koexistenz bewegen.
Die Qualität der Ergebnisse hängt von der Bereitschaft zur ehrlichen und offenen Auseinandersetzung zwischen den Teilnehmenden – auch zu heiklen Meinungen oder Positionen – ab.
Im letzten Teil der Veranstaltung möchten wir die Möglichkeit bieten, dass sich erste weiterführende Ideen oder Impulse konkretisieren können.
Was kostet mich die Veranstaltung?
Die Veranstaltung ist für die Teilnehmenden kostenfrei.
Vormittag: Systemische Dialogformate
Übersicht
1. Lernreise mit Théo Fischer
2. Zukünfte Denken mit Lena Tünkers
3. 3D Modell-Erkundung, mit Severin von Hünerbein
4. Prozessarbeit, Facilitation tbc
5. Lego Serious Play mit Florian Wieser
Hinweis: Wir entwickeln die spezifischen inhaltlichen Fragestellungen aktuell gemeinsam mit den Facilitator:innen und Akteur:innen aus dem Feld. Sie werden rechtzeitig vor der Veranstaltung mitgeteilt. Bei Interesse zur Mitgestaltung melde dich bei uns unter info@gentechnik-dialog.ch.
1. Lernreise (DE & FR)
mit Théo Fischer
Die Methode:
Die Lernreise ist ein Erfahrungsformat, das Menschen ermöglicht, neue Perspektiven durch unmittelbares Erleben zu gewinnen. Statt über Herausforderungen zu sprechen, begeben sich die Teilnehmenden gemeinsam auf eine kuratierte „Reise“ zu Orten, Initiativen oder Akteur:innen, die bereits in der Praxis mit Aspekten der Zukunft oder Transformation im Kontext von Koexistenz und neuen Gentechnikverfahren arbeiten.
Im Mittelpunkt steht das „Lernen durch Erfahrung“: Durch Begegnung, Austausch, Reflexion und Dialog entstehen Erkenntnisse, die im Nachgang in den eigenen Kontext übersetzt werden können.
Ziel ist es, die Teilnehmenden mit inspirierenden Beispiele und ungewohnten Umgebungen in Berührung zu bringen – um die eigene Wahrnehmung zu erweitern, Muster zu erkennen und neue Fragen zu stellen.
Ob es sich um natürliche oder soziale Ökosysteme handelt – eine Frage steht im Zentrum von Théo Fischer’s Wirken: Wie können wir der Komplexität genügend Raum geben, damit sie ihre eigene Magie entfalten kann?
Seine Erfahrungen in der Organisationsentwicklung, in der Gestaltung von Erkundungsprozessen, im Anlegen von Permakulturgärten, in der Imkerei, der Regeneration von Weinbergen sowie im Fermentieren und Sammeln von Heilpflanzen haben seine Überzeugung genährt, dass wir Kontrolle und starre Pläne loslassen müssen, um echte Resilienz entstehen lassen zu können. Alles, was es braucht, ist genügend Raum, um dies geschehen zu lassen.
Théo versteht sich als Gastgeber solcher regenerativen Räume.
Lena Tünkers gestaltet Räume, in denen Zukunft neugierig und mutig erforscht werden kann. Mit einem Hintergrund in Business Innovation verbindet sie künstlerisch-experimentellen Futurismus, strategisch-wirtschaftliches Denken und menschliche Tiefe. Als internationale Prozessbegleiterin und Kuratorin begleitet sie Transformationsprozesse und partizipative Zukunftserforschungen in Organisationen, die Denkhorizonte erweitern und neue Wege eröffnen. Neben ihrer selbstständigen Tätigkeit ist sie Präsidentin des Foresight Europe Network und erforscht mit dem transdisziplinären Projekt Humans of Tomorrow die Zukunft des Menschseins.
2. Zukünfte Denken
mit Lena Tünkers
Die Methode
Wie sieht Gentechnik in der Zukunft aus? Welche möglichen Szenarien sehen wir nicht? Was könnte völlig anders kommen, als wir heute denken?
Beim Zukünfte denken werden keine Antworten geliefert, sondern Fragen gestellt – Fragen, die mutige Neugier für das Ungewisse wecken. Die Teilnehmende erleben einen geführten Prozess aus Perspektivwechsel, Denkakrobatik und gemeinsamer Reflexion – ein Raum, um zu staunen, zu hinterfragen und zu imaginieren.
Der Ablauf:
1. Zukunftsbilder erkunden: Erste Vorstellungen und Erwartungen an mögliche Zukünfte sammeln.
2. Kritische Unsicherheiten entdecken: Trends und Signale mit grossem, aber unklarem Einfluss identifizieren.
3. Zukünfte greifbar machen: Alternative Zukunftsszenarien werden vergegenwärtigt.
Die Methode basiert auf Prinzipien der Futures Literacy (vgl. UNESCO) und des Speculative Design (vgl. Dunne & Raby). Sie nutzt die Vorstellungskraft als Werkzeug, um Unsicherheit nicht zu vermeiden, sondern produktiv zu machen. Indem wir wahrscheinliche, wünschenswerte und alternative Zukünfte imaginieren, erweitern wir unsere Denk- und Handlungsräume.
Gerade bei Gentechnik – einem Feld zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, ethischer Verantwortung und gesellschaftlicher Ambivalenz – ist dieser Ansatz besonders wertvoll. Er ermöglicht, Komplexität auszuhalten, Mehrdeutigkeit zu erkunden und Zukunft als offenes Spielfeld zu begreifen statt als lineare Fortsetzung der Gegenwart.
Kurz gesagt: Wir kultivieren unsere Vorstellungskraft – nicht, um Prognosen zu erzeugen, sondern um zu lernen Zukünfte zu denken. Denn wer Zukunft gestalten will, muss sie zuerst denken können.
3. 3D-Modell Erkundung
Die 3D-Modell-Erkundung dient dazu, komplexe Situationen, Herausforderungen oder Zukunftsbilder in materieller Form aus verschiedenen Perspektiven sichtbar zu machen. Mit einfachen Materialien – Ton, Draht, Papier oder Naturgegenständen – gestalten die Teilnehmenden Modelle, die ihre aktuelle Wahrnehmung eines Systems repräsentieren.
Im Verlauf des Prozesses wird das Modell transformiert: vom Ist-Zustand über das Loslassen alter Strukturen hin zu einer Form, die die emergierende (entstehende) Zukunft ausdrückt. Das Ergebnis ist kein ästhetisches Objekt, sondern eine sichtbare, fühlbare und somit verhandelbare „Momentaufnahme“ der Bewegungen und Tendenzen im System.
Die Methode ermöglicht es, intuitives Wissen, Emotionen und systemische Zusammenhänge zu integrieren – jenseits rein kognitiver Analysen. Sie entspringt der Theory U und wurde von Otto Scharmer et al. am Presencing Institute (MIT) entwickelt.
Severin ist Systemischer Berater & Prozessbegleiter für wirkungsvolle Transformation, Innovative Workshops, Co-Creation Prozesse und Interaktive Events. Seit über 15 Jahren gestaltet er Räume, in denen Menschen über Silos hinweg zusammenkommen, gemeinsam Zukunft entwerfen und mutige, nachhaltige Lösungen entwickeln.
coming soon…
4. Prozessarbeit
Die Methode
Im Worldwork-Modell der Prozessarbeit nach A. Mindell werden Konflikte nicht nur auf rationaler und emotionaler Ebene bearbeitet und geklärt, sondern auf der Grundlage der Hypothese eines intentionalen Feldes betrachtet. Im Zentrum dieser Arbeit steht das Interesse an der Konstruktion, Erscheinungsform und Erfahrbarkeit des gesamten Spannungsfeldes.
Wenn alle Ebenen der Erscheinung und Erfahrung in die Bearbeitung einbezogen werden – auch schwer formulierbare oder nichtsprachliche Erfahrungen –, dann entwickelt sich das Spannungsfeld von selbst weiter und schlägt eine Richtung ein, die neue Erkenntnisse und Handlungsmöglichkeiten eröffnet.
Leitfragen in der Prozessarbeit sind etwa:
Wie versucht sich dieses Spannungsfeld zu entwickeln? Wohin will es sich bewegen?
Die Prozessarbeit ist ein integrativer Zugang zur Erfahrungswelt des Menschen – sowohl als Individuum als auch als Teil von Organisationen oder Gemeinschaften. Dabei stehen die Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten menschlichen Erfahrens und Handelns im Vordergrund. Insbesondere beleuchtet werden folgende Aspekte:
- das Potenzial von Konflikten, Fehlern und Störungen,
- die Polaritäten von Absicht und Selbstorganisation in Transformations- und Entwicklungsprozessen,
- unterschiedliche Wahrnehmungen der Welt aufgrund verschiedener Hintergründe (Diversität), kreative und intuitive Möglichkeiten des emotionalen Wahrnehmens,
- sowie die Wahrnehmung und Nutzung von Macht (Power) als Ressource.
5. Lego Serious Play
Lego® Serious Play® (LSP) ist eine Strategie- und Moderationsmethode, die entwickelt wurde, um Teams und Organisationen dabei zu unterstützen, komplexe Fragen gemeinsam zu beantworten. Anstatt Probleme abstrakt zu diskutieren, nutzen die Teilnehmenden ihre Hände: Sie bauen mit Lego-Steinen Modelle, die ihre Gedanken, Ideen und Erfahrungen sichtbar machen. So entsteht ein Prozess, der Denken, Fühlen und Handeln auf einzigartige Weise verbindet und so wirksame und konkrete Ergebnisse liefert.
Der Prozess in 4 Schritten:
- Fragestellung: Wir stellen eine Frage an die Teilnehmer*innen gemäss dem Fokus des Workshops. Diese Frage ist präzise auf das Ziel abgestimmt und soll die Teilnehmer:innen dazu anregen, über ihre Perspektiven und Antworten nachzudenken.
- Bauen der Modelle: In dieser Phase nutzen die Teilnehmer:innen Lego-Steine, um individuelle Modelle zu bauen, die ihre Antworten, Gedanken oder Perspektiven repräsentieren. Da sich die Teilnehmenden nicht austauschen, beeinflussen sie sich auch nicht und dadurch haben wir sehr ehrliche und diverse Antworten.
- Teilen der Geschichten und Inhalte: Die Teilnehmer:innen teilen ihre Modelle mit der Gruppe und erklären deren Bedeutung. Dieser Schritt ist essenziell, um die individuellen Sichtweisen offenzulegen und ein gemeinsames Verständnis zu fördern. Die gebauten Modelle unterstützen nicht nur die visuelle Kommunikation, sondern helfen auch, Ihre Gedanken und Ideen klar und verständlich auszudrücken.
- Diskussion und Lösungen: Im Austausch werden die Modelle miteinander in Beziehung gesetzt, um systemische Zusammenhänge zu erkennen und ein tieferes Verständnis für die Gesamtsituation zu schaffen. Dieser Schritt dient als Grundlage, um Muster zu identifizieren und konkrete Lösungen zu entwickeln. Die Reflexionsphase ermöglicht es, individuelle Perspektiven mit kollektiven Zielen zu verbinden und gemeinsam Handlungsoptionen zu definieren.
Florian Wieser ist Unternehmer-Pirat.
Als solcher lädt er uns zu mehr Non-Konformität und Well Performing ein – dem ambitionierten, gesunden Leisten jenseits von Selbstausbeutung.
Heute wirkt er als Mentor für Führungskräfte, Lehrer für emotionale Intelligenz und Trainer für LEGO®️ Serious Play. Mit diesem Tool begleitet er seit vielen Jahren Transformationsprozesse – von Teamkultur über Selbstklärung bis hin zu strategischer Neuorientierung. LEGO Serious Play ist für ihn eine Haltung des Denkens mit den Händen, des gemeinsamen Lernens mit dem Herzen, und des Gestaltens aus Überzeugung.
Er glaubt an eine Gestaltungsgesellschaft: eine Zukunft, in der Menschen nicht nur funktionieren, sondern gestalten – verbunden mit sich selbst, dem grösseren Ganzen und einem klaren gestalterischen Ruf.
Weitere Informationen zum systemischen Ansatz
Am Vormittag finden mehrere systemische Dialogformate parallel statt – von kreativen Gruppenarbeiten bis hin zu systemisch erfahrbaren Methoden. Ziel ist es, viele unterschiedliche Perspektiven sichtbar und erlebbar zu machen, damit sie später differenzierter und wirkungsvoller miteinander in Beziehung gebracht werden können. Am Nachmittag fügen wir die entstandenen Erfahrungen und Erkenntnisse in gemeinsamen Gesprächen wieder zusammen: Wir suchen Verbindungen, stellen offene Fragen, lernen voneinander – und vielleicht zeigen sich dabei schon erste Ideen oder Impulse für nächste Schritte über die Veranstaltung hinaus.
Der entstehende Dialograum soll dazu beitragen, ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln und Vertrauen aufzubauen – auch über unterschiedliche Positionen und Überzeugungen hinweg. Gemeinsam reflektieren wir, wie wir in Vielfalt an der Gestaltung unserer Zukunft teilhaben können. So fördern wir den notwendigen Nährboden für zukünftige Kooperationen und politische Impulse, die sich an den realen Bedürfnissen und Perspektiven orientieren – auch jenseits des eigenen Tellerrands.
Die Dialogveranstaltung versteht sich als ein sozialer Lernraum zur Erforschung der Koexistenz mit neuen gentechnischen Verfahren in der Schweizer Landwirtschaft. Diese Fragestellung berührt wissenschaftliche, politische, ethische, ökologische, historische, rechtliche, agronomische und emotionale Dimensionen zugleich – sie ist damit ein typisches Beispiel einer sogenannten wicked challenge (Rittel & Webber, 1973): einer komplexen, vieldeutigen und dynamischen Herausforderung, für die es keine eindeutigen Lösungen gibt, sondern nur gemeinsame Aushandlungsprozesse.
Anstatt Komplexität durch bspw. autoritäre oder kompetitive Strategien zu reduzieren, möchten wir sie in diesem kollaborativen Setting bewusst erfahrbar und verhandelbar machen. Der methodische Ansatz verbindet deshalb verschiedene Stränge systemischer und partizipativer Forschungspraxis, die darauf abzielen, kollektives Lernen, Perspektivenvielfalt und emergente Erkenntnisprozesse zu ermöglichen. Die zeitgleich stattfindenden Formate am Vormittag (Learning Journey, 3D Modelling, Speculative Design, Social Presencing Theater, Worldwork, Lego® Serious Play®) ermöglichen einen multiperspektivischen und multimodalen Zugang zu denselben Fragen. Durch diese Gleichzeitigkeit wird eine vielstimmige, lebendige & dynamische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation ermöglicht.
Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass komplexe Themen nicht isoliert – etwa nur technisch, rechtlich oder ethisch – bearbeitet werden können. Gesellschaftliche Herausforderungen wie neue Gentechnologien, Klima, Ernährung oder Gesundheit sind verflochtene, lebendige Systeme, in denen Ursachen, Beziehungen, Wirkungen und Bedeutungen (mentale Modelle) interdependent miteinander verbunden sind (vgl. u.a. Bateson 1972, Luhman 1984 und Meadows, 2008).
Effektive Veränderung in Systemen dieser Art geschieht nicht durch isolierte Lösungen, sondern durch die Arbeit an Beziehungen, Mustern und mentalen Modellen – den tieferen Strukturen eines Systems, da jede Intervention auch neue Rückkopplungen erzeugt. Nora Batesons Konzept der Warm Data (2018) erweitert und unterstützt diese Sichtweise: Wissen entsteht nicht in Datensätzen oder Fakten allein, sondern in den Beziehungen zwischen Menschen, Kontexten und Bedeutungen. Jedes noch so „objektive“ Wissen ist in eine Vielzahl konkreter sozio-kultureller, ökologischer und institutioneller Kontexte eingebettet – in Beziehungsgeflechte, in denen Menschen mit ihren spezifischen Lebensrealitäten, Erfahrungen, Bedürfnissen und Weltbildern in ständiger Wechselwirkung mit politischen, ökonomischen und ökologischen Systemen stehen.
Der Erfolg der Dialogveranstaltung definiert sich daher nicht in einer allfälligen Klärung oder Vereinheitlichung von Positionen und Meinungen, sondern in der Vertiefung der gegenseitigen Wahrnehmung. Erfolg zeigt sich dort, wo wir auch mit «dem/der anderen» in Beziehung stehen können, wo neue Verbindungen von Bedeutung entstehen, wo bisher getrennte Perspektiven einander berühren und sich gemeinsam weiterentwickeln und wie wir diese Informationen/Perspektiven in unseren jeweils individuellen Kontext miteinbeziehen können.
Der von Jascha Rohr (2021) geprägte Begriff der grossen Ko-Kreation beschreibt die Fähigkeit von Gesellschaften, gemeinsam neue Formen des Organisierens, Denkens, Fühlens und Handelns zu entwickeln. In diesem Sinne beschreibt Ko-Kreation eine kulturelle Praxis über klassische Beteiligung hinaus: Die Dialogveranstaltung wird als ein gemeinsames Erkundungsfeld und sozialer Resonanzraum verstanden, in dem sich Zukunftsbilder, Spannungen und Möglichkeitsräume zeigen dürfen. Menschen kommen nicht nur zusammen, um Lösungen zu entwerfen, sondern vor allem auch um ihre Wahrnehmung und Verständnis in einer kollektiven Lern-Sphäre zu erweitern.
Das Konzept der Ko-Kreation steht in engem Zusammenhang mit der Idee der Multi-Stakeholder-Plattformen (MSP), wie sie im MSP Guide von Brouwer et al. (2016) beschrieben wird. Dort wird betont, dass nachhaltige Lösungen nur entstehen, wenn Wissen aus unterschiedlichen Systemen – wissenschaftlich, lokal, emotional, institutionell – in einem gemeinsamen Lernraum aufeinandertreffen.
Ko-Kreation erweitert die Idee von transdisziplinärem Wissen wie bspw. bei Multi-Stakeholder Prozessen (vgl. Brouwer et al 2016) hin zu transkontextuellem Lernen & Entdecken, indem nicht nur (wissenschaftliche) Disziplinen miteinander verwoben werden, sondern auch verschiedene Erfahrungs-, Praxis-, Bedeutungs- und Lebenskontexte in Beziehung treten, um gemeinsames Verstehen und neues kollektives Handeln hervorzubringen.
Arturo Escobar (2018) erweitert diese Perspektive in Designs for the Pluriverse: Ko-Kreation ist hier ein Akt der ontologischen Gestaltung – das bewusste Hervorbringen von Welten, in denen viele Wirklichkeiten („Pluriversen“) ko-existieren können. Statt auf ein universales Zukunftsbild zu zielen, geht es darum, Räume zu schaffen, in denen unterschiedliche Kosmologien, Wissensformen und Lebensweisen in respektvollem Dialog stehen.
So verstanden wird die Dialogveranstaltung zu einem Laboratorium des Zusammen-Denkens, das nicht Konsens, sondern Ko-Existenz und Co-Sinnstiftung kultiviert – in Anlehnung an dekoloniale und relational-ökologische Ansätze des Designs und der Systemveränderung.
Insbesondere die Theory U vertritt folgende Haltung: Wenn wir zukunftsfähig handeln wollen, ist es wichtig, dass dies aus einem Denken heraus geschieht, welches in Resonanz mit den entstehenden Prozessen geschieht und nicht aus Denkschablonen heraus, die Annahmen in sich tragen welche in ihrer Form nicht mehr (gleich) gültig sind/sein werden. Um dies zu erreichen wird ein bewusstes Innehalten zwischen Wahrnehmen und Handeln vorgeschlagen, in welchem durch Verlangsamung, Resonanz und genaues Beobachten sichtbar wird, was im Entstehen ist.
Scharmer beschreibt diesen Prozess als Bewegung entlang des „U“: vom «Herunterladen» eingefahrender Muster über das Innehalten und Öffnen hin zu einem Entstehenlassen neuer Möglichkeiten. Zwischen Wahrnehmen und Handeln entsteht eine Zone der Präsenz – ein bewusster Raum des Nicht-Wissens, in dem sich Intuition, Empathie und kollektives Spüren entfalten können.
Im Zentrum steht die Verschiebung von einem „Knowing about“ hin zu einem „Being with“ – einer Erkenntnishaltung, die Wissen nicht als distanziertes Objekt begreift, sondern als Ergebnis von Beziehung und verkörperter Aufmerksamkeit. In diesem Sinn verbindet sich die Theory U mit der systemischen Epistemologie von Gregory Bateson und dem relational-systemischen Denken Nora Batesons (Warm Data, 2018).
Dieses „Presencing“ – eine Wortschöpfung aus presence und sensing – bezeichnet den Moment, in dem Menschen und Systeme mit der Zukunft in Berührung kommen, die sich durch sie entfalten will. Transformation geschieht nicht durch reine Willenskraft, sondern durch die Fähigkeit, zuzuhören – nicht nur einander, sondern auch dem, was „zwischen“ uns geschieht.
Damit wird der U-Prozess selbst zu einem sozialen Erfahrungsraum – einem Gefäß, in dem kollektive Achtsamkeit, Verlangsamung und Resonanz praktiziert werden. In der Sprache der Theory U wird dieser Raum durch drei Öffnungen möglich:
das offene Denken (open mind) – die Bereitschaft, eigene Gewissheiten zu hinterfragen,
das offene Herz (open heart) – die Fähigkeit, sich von anderen berühren zu lassen,
und den offenen Willen (open will) – das Loslassen alter Absichten, um Platz für Veränderungen & Neues zu schaffen.
Vom individuellen Erleben zum kollektiven Gestalten
Die Theory U versteht soziale Systeme als lernende Organismen. Das Innehalten im „U“ ist kein Rückzug, sondern eine kollektive Tiefenwahrnehmung, aus der gestaltende Intelligenz entsteht – eine Fähigkeit, die über rationale Planung hinausgeht und Zukunft als Beziehungsprozess erfahrbar macht.
Damit schließt die Theory U unmittelbar an Ko-Kreation (Rohr 2021), transkontextuelles Lernen (Bateson 2018) und Designs for the Pluriverse (Escobar 2018) an: In allen drei Ansätzen geht es um das Gestalten aus Beziehung & Dialog heraus.
Insgesamt begreifen wir den Tag als Labor für gesellschaftliche Lernprozesse. Die Veranstaltung ist ein offener Erfahrungsraum, in dem Stakeholder aus Wissenschaft, Politik, Praxis und Zivilgesellschaft neue Formen des Verstehens erproben können.
Das Zusammenspiel von Methoden, Körperlichkeit, Diskurs und Reflexion ermöglicht ein Lernen, das kognitiv, emotional und relational verankert ist. Der entstehende Dialograum soll als Nährboden dienen – für künftige Kooperationen, politische Impulse und eine vertiefte gemeinsame Verantwortung für das, was wächst.
BÜCHER
Bateson, Nora (2023). Combining. Triarchy Press.
Brouwer et al. (2019). The MSP Guide. <https://mspguide.org>.
Escobar, Arturo (2018). Designs for the Pluriverse: Radical Interdependence, Autonomy and the Making of Worlds. Duke University Press.
Isaacs, Williams (1999). Dialogue: The Art of Thinking Together. Penguin Random House
Luhman, Niklas (1984). Soziale Systeme. Suhrkamp
Meadows, Donella H. (2008). Thinking in Systems. Chelsea Green.
Meadows, Donella H. Leverage Points. <https://donellameadows.org/archives/leverage-points-places-to-intervene-in-a-system>
Rohr, Jascha (2021). Die grosse Kokreation. Eine Werkstatt für alle, die nicht untergehen wollen. Murmann.
Scharmer, C. Otto (2016). Theory U: Leading from the Future as it Emerges (2nd. Edition)
VIDEOS
Isaacs, William. Conversations that Change the World. MIT Sloan School of Management. Youtube
